Kapitel 1
Vom Wesen des Klartraums
1) Einführung in des Thema Klartraum

Jede Nacht werden wir in unseren Träumen wiedergeboren. Paradoxerweise widmen die meisten von uns den Träumen keine besondere Aufmerksamkeit. Dies ist jedoch zu einem gewissen Grad Ausdruck unserer Kultur. In der zunehmenden Vorherrschaft von Wissenschaft und Technik scheint die Aufrechterhaltung zur Traumwelt nicht mehr zeitgemäß. Wenn das zu ändern wäre, wenn wir uns die Welten des Traums genauer anschauen könnten, würden wir ein Terrain entdecken, das so vielfältig und so attraktiv ist wie nur irgendeines, das wir aus dem Wachzustand kennen.

Andere Kulturen, wie z.B. die Senoi, die lange unentdeckt im malayischen Urwald lebten und erstmals von STEWART beschrieben wurden, haben eine recht fortschrittliche Traumkultur entwickelt. Bereits die Kinder werden dazu angehalten, Träume als alternative Realität zu begreifen. Ihnen wird aufgetragen, selbst dann im Traum zu verbleiben, wenn er ihnen Angst macht. So machen sie im Lauf der Zeit die Erfahrung, dass die Traumwelt beeinflußbar ist. Die Erwachsenen haben so gelernt, jeder Bedrohung durch Alptraumgestalten standzuhalten, ja sogar ihnen Geschenke abzuringen. An den Träumen der einzelnen hat die ganze Gemeinschaft teil, denn sie werden auf rituelle Weise im Stammesrat erzählt. Nun gut, normalerweise haben wir nicht die Möglichkeit, uns dermaßen intensiv um unser Traumleben zu kümmern, aber eins ist klar: Die Senoi haben sich die Fähigkeit angeeignet, luzide zu träumen.

Ein luzider Traum ist ein Traum, in dem man sich bewusst ist, dass man träumt.

THOLEY nennt denselben Zustand Klartraum. Im weiteren Verlauf werden beide Ausdrücke synonym verwendet. Wahrscheinlich haben schon viele Menschen während des Traumes plötzlich einmal gemerkt, dass sie träumen, aber dieser Gedanke löst sich typischerweise schnell auf, wird überwältigt von der zwingenden Bilderwelt des Traumes. Einige Menschen jedoch Erwachen in ihrem Traum, sie bemerken, dass sie träumen, und erlangen Betrachtung auf einen natürlich entstandenen veränderten Bewußtseinszustand. Abhängig vom Charakter dieser Erfahrung kann der luzide Träumer ein passiver Beobachter oder aktiver Teilnehmer sein und Einfluß auf die Handlung nehmen. Entwickelt sich das luzide Träumen zunächst mit einem kurzen Aufflackern von Bewußtsein, so kann man durch Übung diese Phasen verlängern und schließlich kann man lernen, den Traumverlauf zu steuern.

In der psychologischen Wissenschaft wird das luzide Träumen von den meisten immer noch als etwas exotisches angesehen, ein Ding der Unmöglichkeit, obwohl physiologische Beweise für seine Existenz hervorgebracht worden sind (LaBERGE, 1981). Zumindest derjenige, der schon einmal einen Klartraum hatte, wird bestätigen können, dass das Bewußtwerden im Traum bedeutet, sich in einer grundsätzlich anderen Realität wahrzunehmen. Es ist eine Welt, die das wache und das schlafende Bewußtsein überbrückt. Nach LaBERGE kann die kognitive Psychologie nicht länger von der Annahme ausgehen, dass Wachsein eine klar definierte, unzweideutige Bedeutung hat. Das luzide Träumen stellt unser Verständnis dessen in Frage, was es bedeutet, wach zu sein.

Andererseits schreibt FOULKES, dass das Träumen als etwas angesehen werden muß, das mehr ist als ein abnormes Wahrnehmen. Es ist eine begriffliche Leistung des Menschen von äußerster Wichtigkeit, eine komplexe symbolische Aktivität des Gehirns und eines der Kernprobleme kognitiver Psychologie. Er fordert, dass der Traumprozeß noch einmal, wie damals unter FREUD, als ein zentrales Problem für die Untersuchung unserer Seele angesehen werden sollte, und ist der Meinung, dass seine Lösung dazu beitragen kann, die fundamentalen Strukturen der menschlichen Erkenntnis zu enthüllen.

Zunächst werden, ausgehend vom Schlafzyklus, die grundlegenden Elemente des luziden Traums vom normalen Traum abgegrenzt. Danach wird der luzide Traum von verschiedenen psychologischen Blickwinkeln betrachtet und empirische Studien zur Induktion und Physiologie von Klarträumen werden vorgestellt.

So sei diese Seite ein Beitrag zu der Tatsache, dass das Leben im Wachen als auch im Traum stattfindet und beide Erlebniswelten Teile unseres menschlichen Bewußtseins sind.


Literatur zu Kapitel 1

Freud S. (1968): Die Traumdeutung. Gesammelte Werke Band II/III. Frankfurt am Main. Fischer

Foulkes D. (1978): A grammar of dreams. Hassocks. Harvester Press

LaBerge S., Nagel L.E., Dement W.C., Zarcone V.P. (1981): Evidence for lucid dreaming during REM sleep. Sleep Research, 10, S.148

Stewart K. (1969): Dream theory in Malaya. In Tart C.T. (1969): Altered States of consciousness. New York. Wiley & Sons

Tholey P. (1997): Schöpferisch Träumen - wie sie im Schlaf das Leben meistern. Eschborn bei Frankfurt am Main: Klotz

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